Tomi Ungerer    

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Bodo W. Klös

 

Künstler, Tod und Königsklopfen.  

Wir machen ein Buch mit Tomi Ungerer.   

 

Um gleich eingangs ein Klischee zu bemühen: Wie so manches Andere begann auch dieses Projekt  bei einem Glas Rotwein. Als ich im Herbst 2007 in Hamburg-Altona mit dem Leiter des Erotik-Art-Museums Alvaro Rebolledo Godoy zu später Stunde zusammen saß und er mich fragte, was man denn mit ca. 100 unveröffentlichten Zeichnungen von Tomi Ungerer machen könne, sagte ich spontan: ein Buch! – ohne dies ernst zu nehmen. Noch in der Nacht wurde ein vorläufiges Konzept entwickelt, Aphorismen, von Ungerer geschrieben, in drei Sprachen den Zeichnungen gegenüber gestellt. Klischee im Hochdruckverfahren für die Texte, Faksimiledruck für die Bilder, beigebundene Radierung, kleine Auflage. Wir dachten weder an Urheberrechte der Texte, noch an unsere alte Andruckpresse Grafix von 1952 und schon gar nicht an deren Maximaldruckformat. Eine nette Geschichte, hitzige Reden und ein wirklich schöner Abend. Das war´s, so dachte ich.   

 

 

Wenige Wochen später lagen die Zeichnungen hier auf dem Tisch. Alvaro Rebolledo Godoy, seit Jahren mit Tomi Ungerer befreundet, fand sie in einem mausgrauen Umschlag in der Wohnung von Robert Walter, dem Privatsekretär des Künstlers. Dort lagen sie schon seit längerem und waren vielleicht zu ehrlich und innig, um als museal klassifiziert werden zu können. Wurde Ungerer doch gerade in diesem Herbst 2007 in Straßburg als erster lebender Künstler in Frankreich mit einem eigenen Museum geehrt. Alle Zeichnungen Autoportraits, häufig schnell hingekritzelte Skizzen auf denen Tomi Ungerer in außergewöhnlich viele Rollen schlüpft. Man sieht ihn auf den intimen Zeichnungen mal als Frau, mal als Sexmaniac, als Opfer von Salomé ebenso wie als Kranken mit Rippenfellentzündung. Gezeichnet mit dem ihm eigenen Zeichenduktus.   

 

Mit der von Paul Klös und mir zwei Jahre zuvor gegründeten „Bessinger Handpresse“ waren wir mitten in einem anderen Projekt und die Zeichnungen wanderten zunächst ins Archiv. Im Spätsommer 2008 wurden Klischees hergestellt und zwei der ca. 100 Zeichnungen gescannt. Wir fanden ein wunderschönes, 180 gr. schweres Papier von Zerkall. Geplant war eine japanische Broschur und so gab uns die alte Andruckpresse das Format vor. Da Tomi Ungerer die meiste Zeit in Irland lebt, gingen die ersten Andrucke dort hin und gespannt warteten wir auf die „Bewertung“. Nach zwei Monaten kam das ok. aus Irland für die Druckqualität, sowie der Vorschlag eines Treffens in Hamburg.   

 

Februar 2009 trafen wir erstmals Tomi Ungerer in einem Hamburger Hotelzimmer. Er schälte einen Apfel und verteilte die Stücke. Die Zeichnungen lagen auf dem Tisch, wir stellten unser Konzept mit 33 Bildern und 33 Aphorismen vor und dem nunmehr 77-jährigen Künstler, dessen Bilder ich das erste Mal in meiner Jugend sah (Fornicon), war es sichtlich unangenehm über seine eigenen Zeichnungen zu sprechen. Er wechselte permanent vom Deutschen ins Französische, vom Französischen ins Englische. „Machen wir ein deuxieme livre, you now? Es gibt neue Zeichnungen.“ Wir verabredeten, dass er für das Buch noch eine Radierung macht und wir ihm die präparierten Druckplatten schicken. Als Buchtitel schlug er vor: „mit mir möchte ich nicht leben“.   

 

Damit konnten wir nicht leben. Als die Druckplatte von ihm bearbeitet zum Ätzen zurückkam, hatte er sich selbst am Tisch sitzend, einen Totenschädel mit Königsberger Klopsen fütternd, dargestellt. Er schrieb darunter „Künstler, Tod und Königsklopfen“ und wir hatten unseren richtigen Buchtitel. Nach dem Ätzen ging eine erste Probe der Radierung nach Straßburg, sie kam zurück mit Änderungswünschen. Die zweite Probe ging nach Irland und erst nach mehrmaligen Anrufen wollte Ungerer erneute Änderungswünsche per Post senden. Der Brief kam nach zwei Wochen. Das Couvert war leer und bei unserem erneuten Anruf freute er sich diebisch: „Habe keine Änderungswünsche, deswegen ist da nichts drin!“  Langsam gewöhnten wir uns an seinen Humor: Auf mehrmaliges Bitten unsererseits, doch den Vertrag unterschrieben zurück zu senden, kam dieser dann in einer Woche drei mal. Immer der Gleiche, drei Tage hintereinander.   

 

Die Auflage für das Buch wurde festgelegt und Paul Klös entschied sich, statt dem im Computer hergestellten Klischeedruckverfahren, die alte Technik des Bleisatzes zu verwenden. Hierzu fanden wir in der Werkstatt von Hermann Rapp (Offizin Goldene Kanne) die rare Schrift MAURITIUS. Er stellte sie uns freundlicherweise für die Zeit der Produktion zur Verfügung. Die Buchbindearbeiten übernahm Ingrid Trommer aus Königshain bei Chemnitz. Schnell stellten wir fest, dass das ausgesuchte Papier zu schwer war für die gewünschte Bindung und es wurde reduziert auf 140 gr. Ingrid Trommer war von dem Projekt begeistert, half mit, verrückte Ideen umzusetzen und es wanderten viele Proben von Mappen, Kassetten und Prägungen zwischen Chemnitz und Lich hin und her. Zeitweilig wurde sich auch auf halber Strecke auf Autobahnparkplätzen getroffen und Koffer mit Papieren umgeladen.  

 

Mitten in der schon begonnenen Scanarbeit für die Zeichnungen teilte uns Tomi Ungerer mit, dass er fünf neue Zeichnungen hätte, die er gerne im Buch sehen möchte. So müssen fünf schon ausgewählte raus. Nebenbei tauschte er noch kurzerhand 10 Aphorismen aus gegen 10 neu geschriebene. Wir sind schon in der Produktion, als uns die Nachricht erreicht, dass der Künstler die extra in New York ins Englische übersetzten Aphorismen nicht freigibt. Er ist der Meinung, seine Texte sind nicht ins Englische zu übertragen. So wird das geplante Konzept von drei auf zwei Sprachen reduziert. Die Sprache in der der jeweilige Aphorismus geschrieben ist, schwarz hervorgehoben. Die Vorworte von Dr. Alvaro Rebolledo Godoy und Dr. Thérèse Willer, der Leiterin des Museums in Straßburg werden wie geplant in drei Sprachen gedruckt. Der Innenbezug der Kassette ist schon mit dem Satz: „by loosing my sight, I found my insight“ bedruckt. Die Nerven in der Werkstatt liegen blank.   

 

„by loosing my sight, I found my insight“, steht auf dem Innenbezug der Kassette und dazu hat Paul Klös die Werkstatt für Tage mit Antismet-Puder überzogen, damit die Farbe bei verschiedenem Lichteinfall jeweils anders leuchtet. Dieser Puder, mittels Sieb auf die frische Farbe gebracht, dann mit Druckluft wieder vom Papier abgeblasen, wird wahrscheinlich noch in Jahrzehnten in Ritzen und Ecken zu finden sein.    

 

Wir können Lutz Köhler vom Druckkollektiv Giessen für unser Projekt begeistern und an seiner hochmodernen großen Offsetdruckmaschine werden die Zeichnungen gedruckt. Es folgen mehrere Wochen Blei setzen, abwechselnd mit der Druckarbeit an unserer alten „Grafix“. Die dann schon ab und zu aufstöhnt und nach neuen Walzen verlangt, bis hin, dass Scheiben aus Kupferblechen gebastelt werden, damit sie weitermacht. Der „Maschinist“ Bernhard Dorn kam auch schon mal am Sonntag um nach der Andruckpresse zu sehen. In seiner Werkstatt wurden die Stahlklischees für die Federzeichnungen angefertigt, die Paul Klös zu den Vorworten druckte.   

 

12.000 Druckdurchläufe von Hand, über 5000 Bögen von Hand gefalzt, 130 Bücher von Hand zusammengetragen: die „Bessinger Handpresse“ legitimiert ihren Namen.  Genau zur „Deadline“ halten wir die ersten fertigen Bücher in der Hand. Ein Exemplar geht sofort zu Tomi Ungerer, der sich mittlerweile wieder in Straßburg aufhält. Gespanntes Warten und kein Rückruf. Nachforschungen ergeben, dass das Buch zwei Wochen durch halb Europa unterwegs war, Hamburg - Straßburg – Irland – Straßburg....  nach über 2 Wochen ein „gerührter“ Tomi Ungerer am Telefon. Alles wird gut.   

 

 

Am 17. September 2009 wird das Buch zusammen mit den Originalzeichnungen in der Galerie Martel, Paris, vorgestellt. Der Künstler, die Verlegerin, der Herausgeber, der Drucker sowie zahlreiche Kollegen, Politiker und Journalisten sind anwesend.

Am 18. September erscheinen in mehreren Pariser Zeitungen Artikel über die Ausstellung und das Buch. Blogeintrag auf der Website von Radio France Culture, das ein Live-Interview mit dem Künstler ausstrahlte: „Tomi for president!“ 

 

 

 



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